Dr. Lars Pracejus, Experte für Hypnose aus Gießen, im Ratgeber Gesundheit von KHN: Zahnarztphobie

Über die Angst vor dem Zahnarzt, dessen Ursachen und die hypnotherapeutischen Methoden der heutigen Zeit

Zahnarztphobie
Dr. Lars Pracejus, Diplom-Psychologe und Experte für Hypnose aus Gießen in Hessen

Woher kommt diese Angst? Wann kann man von einer Phobie sprechen? Und welche Methoden existieren, um diese Angst zu überwinden? Im folgenden Expertengespräch erläutert Dr. Lars Pracejus, Diplom-Psychologe und Hypnotherapeut aus Gießen in Hessen, die Krankheitserscheinung der Zahnarztphobie und geht auf einzelne Bereiche der Thematik ein.

KnowHowNow
Herr Dr. Pracejus, die Angst vor dem Zahnarzt ist ein verbreitetes Phänomen. Doch wird vielleicht mehr darüber gesprochen, als es überhaupt vorhanden ist? Was gibt es zum Einstieg über die Angst vor dem Zahnarztbesuch zu berichten?

Dr. Lars Pracejus
Laut der Deutsche Gesellschaft für Zahnbehandlungsphobie gibt es allein in Deutschland etwa 5 Millionen Menschen mit Zahnbehandlungsphobie. In den Industriestaaten Europas rechnet man bei 10 % der Bevölkerung mit einer ausgeprägten Angst.

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Ab wann kann man bei der Scheu vor dem Zahnarztbesuch von einer Phobie sprechen und wann ist es noch eine „normale“ Angst oder Skepsis?

Dr. Lars Pracejus
Wenn jemand einen schmerzhaften Eingriff zu erwarten hat, dann ist ein gewisser Respekt oder eine Angst davor natürlich realistisch. Schwierig wird es, wenn eine irrationale Angst dazu führt, dass selbst Routineuntersuchungen nicht mehr wahrgenommen werden, die üblicherweise keinen Schmerz verursachen. Die Folgen sind dann Verwahrlosung des Zahnmaterials, mangelnde Pflege und Prävention, Verzicht auf zahnerhaltende Maßnahmen und als Folge dessen erst recht eine Notwendigkeit zu intensiven Eingriffen oder dem Verlust der Zähne. Die damit verbundenen praktischen und ästhetischen Einbußen liegen auf der Hand.

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Ist die Phobie vor dem Zahnarzt in irgend einen Vergleich zu ziehen? Kann man das ‚wieso‘ beantworten? Welche Gedanken plagen die Betroffenen, wenn sie sich ihren nächsten Zahnarztbesuch vor Augen führen? Tendenzen?

Dr. Lars Pracejus
Das „wieso“ ist häufig auf zwei Gründe zurückzuführen. Das erste ist eine schmerzhafte Erfahrung, meist in Kindheit und Jugend, die ja tatsächlich beim Zahnarzt vorkommen kann. Lebewesen lernen sehr schnell was ihnen schadet, also Leib oder Leben bedroht und reagieren darauf. So gesehen ist die Angst nur ein Warnsignal, welches der Mensch als Aktivierung erlebt: Erhöhung der Atemfrequenz, Erhöhung der Herzfrequenz, verbesserte Durchblutung, Verbesserung der Aufmerksamkeit. Diese Aktivierung dient dazu, gewappnet zu sein für Kampf oder Flucht.
Ein zweiter Auslöser kann eine gelernte Angst sein. Wenn der begleitende Elternteil selbst viel Angst hat, dann überträgt sich diese auf das Kind. Dieses Resonanzgeschehen lässt das Kind eine Assoziation bilden: Zahnarzt – Angsterleben.

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Ist Zahnbehandlungsphobie eher ein Phänomen der letzten Jahre? Woher stammt diese Angst, wo sind sprichwörtlich die Wurzeln zu erkennen? Welche Ursachen hat die Zahnbehandlungsphobie?

Dr. Lars Pracejus
Ich halte die Angst vor dem Zahnarzt für keine neue Erscheinung. Früher wurden diese Eingriffe von umherziehenden Barbieren gleich mit erledigt. Vieles an dieser Situation ist unangenehm. Das fängt schon damit an, dass der Patient auf dem Rücken liegt. Alle anderen Situationen, bei denen wir auf dem Rücken liegen sind sonst sehr private Situationen: Schlaf, Erholung, Zärtlichkeiten. Auf dem Rücken zu liegen bringt auch immer eine gewisse Verletzlichkeit mit sich, eine Ohnmacht oder ein Ausgeliefertsein. Zusätzlich wird in einem Bereich operiert, den der Patient nicht beobachten kann. Es ist also noch mehr Vertrauen notwendig. Und tatsächlich können zahnärztliche Eingriffe unangenehm bis schmerzhaft sein. Hier ist schnelle eine Assoziationskette geschlossen, das beim Zahnarzt in einer hilflosen Position auch noch Schmerz zugefügt wird. Also reagiert der Patient mit Angst, die eine Signalfunktion hat und den Körper zur Aktion rüstet.

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Herr Dr. Pracejus, Sie benutzen unter anderem die Hypnose, um die Angst vor dem Zahnarzt zu beheben. Wie dürfen sich das unsere Leser vorstellen?

Dr. Lars Pracejus
Die klinische Hypnose kann in einfacher Form dazu dienen, eine Entspannung herbei zu führen. Die Entspannung ist physiologisch die gegensätzliche Reaktion zur Angst. Wenn Entspannung herrscht, kann keine Angst vorhanden sein. Die Hypnotherapie kann aber noch mehr. Der Patient kann lernen in der Vorstellung seine Ängste zu beeinflussen. Er kann zum Beispiel an einen sicheren Ort flüchten, der ihm Geborgenheit bietet. Er kann aber auch direkt die Angst im Vorfeld der Behandlung beeinflussen lernen, damit sich die Angst gar nicht erst aufbaut.

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Wie wird die Angst vor dem Zahnarzt von Betroffenen selbst reflektiert? Suchen im Vergleich zur potentiellen Anzahl der Betroffenen viele Menschen auch Hilfe auf?

Dr. Lars Pracejus
Oft wird der Zahnarztbesuch dann leider schlicht vermieden. Das geht so lange gut, bis die Beschwerden im Mundraum so massiv werden, dass durch die Schmerzen eine Behandlung unumgänglich ist. Der Patient begibt sich also dann erst in Behandlung, wenn der Leidensdruck durch Schmerz die Angst vor dem Zahnarzt übertrifft. Dadurch ist die ganze Situation aber schon wieder mit aversiven (unangenehmen) Assoziationen gekoppelt und das entschärft die Situation nicht.

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Gibt es individuelle Unterschiede bei den behandelten Patienten? Wie unterschiedlich kann sich die Angst vor dem Zahnarzt äußern?

Dr. Lars Pracejus
In der Psychologie unterscheiden wir Realangst und phobische Angst. Wenn tatsächlich ein schmerzhafter oder invasiver (tiefgreifender) Eingriff bevorsteht und der Patient noch zusätzlich sehr empfindlich ist, dann wird er einen berechtigten Respekt vor den zu erwartenden Empfindungen haben. Das ist eine realistische Befürchtung. Eine irrationale Angst ist dann gegeben, wenn Angstsymptome schon im Vorfeld, beim Gedanken an die Behandlung auftreten und diese sogar nur eine Routinekontrolle ohne Eingriff ist. Dann reden wir von einer Angststörung mit spezifischem Auslöser.

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Welchen Ratschlag können Sie für den autonomen Umgang mit eigener Zahnbehandlungsphobie geben? Kann dieser Ratschlag überhaupt erteilt werden?

Dr. Lars Pracejus
Leider ist es nicht so einfach, dass mit einem Ratschlag das Angsterleben unterbunden werden kann. Präventiv (vorbeugend) kann ich aber sagen, dass Ängste durch Vermeidungsverhalten noch schlimmer werden. Wenn ein Patient durch ein unangenehmes Erlebnis damit hadert, seinen Zahnarzt wiederholt aufzusuchen, dann sollte frühzeitig ein Psychologe hinzugezogen werden. Je länger psychische Störungen vorliegen, desto hartnäckiger können sie sich in der Therapie zeigen.

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Welche Risiken zieht unbehandelte oder unkontrollierte Phobie vor dem Zahnarzt auf Dauer nach sich?

Dr. Lars Pracejus
Die Konsequenzen sind primär medizinischer Art: Verschlechterung der Zahnhygiene, Karies, Parodontose, Entzündungen, Beeinträchtigung und Abbau von Zahnmaterial und Mundschleimhaut. Bakterien aus dem Mundraum können sich vermehren und Organe befallen.
Sekundär satteln sich oft zusätzliche psychische Probleme auf: Patienten zeigen ungern den desolaten Zahnstatus und vermeiden Lachen in der Öffentlichkeit. Das kann soziale Situationen zu einer Tortur werden lassen und zu Vereinsamung, Isolation und Störungen des Sozialverhaltens führen.
Ängste vor medizinischem Personal können sich auch generalisieren und andere medizinische Vorsorgeuntersuchungen sabotieren.

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Häufig hört man bei Kindern von der Angst vor dem Zahnarzt. Ist dies eher normale, kindliche Unsicherheit – oder tatsächlich eine Personengruppe mit erhöhtem Anteil an Betroffenen der Phobie?

Dr. Lars Pracejus
Eine Angststörung muss schon einige Zeit vorliegen, um sie zu diagnostizieren. Kinder sind oft skeptisch gegenüber Fremden. Das ist nicht ungewöhnlich. Wie vorher erwähnt kann das Kind auch die Angst von einem Elternteil erlernen, wenn dieser sie offen zeigt. Es gibt in der Zahnmedizin einige Fort- und Weiterbildungen, die sich auf den Umgang mit Kindern konzentrieren und Angst abbauen.

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Was beobachten Sie, wie die Zahnärzte auf die Entwicklung der Zahnbehandlungsphobien reagieren?

Dr. Lars Pracejus
Es gibt mittlerweile sehr gut geschulte dentalmedizinische Kolleginnen und Kollegen, die sich auf die Behandlung ängstlicher Patienten sehr gut verstehen. Dies beginnt oft bei der Einrichtung der Praxis, geht weiter über Stimmung und Atmosphäre, Betreuung, Gespräch, Vertrauensbildung, Auswahl und Verabreichung von Analgetika (Schmerzmittel) und Anästhetika (Betäubungsmittel), bis hin zu suggestiven und imaginativen Techniken, die die Aufmerksamkeit des Patienten zu anderen Themen lenken.
Es kann den Zahnärzten nicht auch noch auferlegt werden, die Phobie gleich mit zu therapieren. Dazu fehlt ihnen die Zeit und die Abrechnungsmöglichkeit. Aber der Zahnarzt kann einen großen Einfluss auf das Wohlergehen des Patienten nehmen und viele Kollegen machen glücklicherweise davon Gebrauch.

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Inwiefern arbeiten die Disziplinen denn hier zusammen? Bietet sich bei solchen übergreifenden Themen Zusammenarbeit an?

Dr. Lars Pracejus
Ich arbeite mit einigen Zahnärzten in der Region sehr erfolgreich zusammen. Angstbewältigung kann direkt vor Ort in der Zahnarztpraxis erlernt werden, ebenso Entspannungstechniken im Behandlungsstuhl. Andere Patienten vertragen Schmerzmittel nicht so gut. Hier kann mittels Hypnose eine Schmerzausschaltung erreicht werden. Ich gehe auch mit in die Praxis oder Klink und begleite medizinische Eingriffe.

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Ist eine Hypnotherapie oder allgemein psychotherapeutische Maßnahme mit Kindern bei Zahnbehandlungsphobie überhaupt möglich – oder kann auch pädagogisch eingewirkt werden? Welche Beobachtungen möchten Sie dabei nennen – gerade auch nochmals im Bezug der Unterscheidung zwischen einfacher ‚Angst‘ und realer ‚Phobie‘?

Dr. Lars Pracejus
Ausschließlich pädagogisch lässt sich eine Angst kaum abmildern. Sicher ist Psychoedukation ein wichtiger Teil, um das eigene Angsterleben zu erkennen und damit umgehen zu lernen. Darüber hinaus braucht der Patient aber auch neue Erfahrungen, praktische Kompetenzen und alternative Verhaltensstrategien, um der Phobie zu begegnen.
Da sie noch mal nach der Unterscheidung zwischen einfacher ‚Angst‘ und realer ‚Phobie‘ fragen, würde ich noch ergänzen dass realistisch zu erwartende Schmerzen nicht unrealistisch verharmlost werden sollten. Gerade einem Kind sollte nicht eingeredet werden „es tut überhaupt nicht weh“, wenn das nicht der Realität entspricht. Denn wenn es dann zu Schmerzen kommt, fühlt sich das Kind belogen und betrogen. So kann Vertrauen schwer entstehen.

KnowHowNow
Was war die längste Zeitspanne, in der ein Patient den Kontrollbesuch beim Zahnarzt gemieden hat? Welche Beobachtungen lassen sich über das Ausmaß der Phobie benennen?

Dr. Lars Pracejus
Es gibt starkes Vermeidungsverhalten, bei dem der Zahnarzt über Jahrzehnte nicht konsultiert wird. Was das für die Mundflora bedeutet, liegt auf der Hand.

KnowHowNow
Inwiefern kann bei einer Behandlung der Zahnbehandlungsphobie von Heilung gesprochen werden? Ist es mehr eine Kontrolle der Angst oder tatsächlich Angstfreiheit, welche sich ein Betroffener erhoffen darf? Wie darf man sich die Situation vorstellen?

Dr. Lars Pracejus
Angststörungen können chronisch werden, das heißt sie sind dauernd präsent, wenn sie nicht behandelt werden. Bei Panikstörungen kommt nur bei ca. 2 von 10 Patienten zu einer Spontanremission (d.h. einer Heilung ohne Behandlung). Psychotherapie verbessert die Prognose wesentlich. Spezifische Phobien können sehr gut behandelt werden. Hier geht es um Einflussnahme, sich nicht ausgeliefert fühlen, Entspannung statt Aufregung, Beeinflussung des Schmerzgeschehens, Vorverarbeitung der Angst u.v.m.
Grundsätzlich gilt: Je früher eine Behandlung begonnen wird, desto günstiger ist der Verlauf.

KnowHowNow
Was kann die klinische Hypnose im medizinischen Bereich noch, über die psychologischen Aspekte hinaus?

Dr. Lars Pracejus
Hypnose erlangt zunehmend Bedeutung bei der Vorbereitung und Durchführung medizinischer oder zahnmedizinischer Eingriffe. Besonders für Patienten mit einer Schmerzmittel- oder Beruhigungsmittel-Unverträglichkeit oder in der Schwangerschaft bietet sich dadurch eine Alternative.
Zu den Vorteilen zählt: der Patient bleibt ansprechbar und kann ggf. mitarbeiten, die behandelte Körperregion verheilt schneller, da sie keiner lokalen, medikamentösen Belastung ausgesetzt ist und Leber und Nieren werden nicht der Belastung einer Vollnarkose ausgesetzt.

KnowHowNow
Wir danken Ihnen für das Gespräch mit KnowHowNow und die reichlichen Informationen zum Thema, Herr Dr. Lars Pracejus!

Im Gespräch Dr. Lars Pracejus. Praxis: Südanlage 12, 35390 Gießen. Diplom-Psychologe aus Gießen und Spezialist für Psychotherapie und Hypnotherapie, Hessen. Promotion (rer. nat.) und Studium der Psychologie und Medizin an der Justus Liebig Universität Gießen.

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