Gefahr durch Rückfalltäter wird steigen
Das heutige Urteil des Bundesverfassungsgerichts, die Sicherungsverwahrung in Gänze zu kippen, wird ungeahnte Auswirkungen auf den Umgang mit potentiell rückfallgefährdeten Sexualstraftätern haben. Die grundsätzliche Abwägung des Gerichtes erfolgte in dem Maße, dass das Recht des Täters auf Freiheit im Zweifelsfall höher zu bewerten ist, als das eines potentiellen Opfers auf den Schutz von Leib und Leben. Damit folgt Karlsruhe den Vorgaben des Europäischen Menschengerichtshofs, der bei seinen entsprechenden Entscheidungen das Rechtsgut „Schutz der Bevölkerung“ nur am Rande in seine Abwägungen einbezogen hat und ausschließlich die Täterrechte gestärkt hat.
Die Übergangsfrist bis 2013 gibt dem Gesetzgeber ausreichend Zeit, eine Sicherungsverwahrung aufzubauen, die den Ansprüchen der neuen Rechtsprechung genügt. Das Kernproblem der Entscheidung sind aber die außerordentlich hohen Hürden, die das Gericht für die Übergangszeit errichtet hat: Nur wenn vom Täter eine hochgradige Gefahr – Verübung schwerster Gewalt- oder Sexualstraftaten – ausgeht und er zudem an einer „zuverlässig nachgewiesenen psychischen Störung“ leidet, darf er in der Sicherungsverwahrung bleiben. Diese Störung kann in den meisten Fällen nicht nachgewiesen werden. Das sind Hürden, die in der Praxis dazu führen werden, dass gerade Sexualstraftäter nicht in die Sicherungsverwahrung genommen werden können. Als Beispiel dient der Fall Heinsberg. Der hochrückfallgefährdete Sexualstraftäter Karl D. kann auch nach dieser Rechtsprechung nicht in die Sicherungsverwahrung genommen werden, da es ihm an der „zuverlässig nachgewiesenen psychischen Störung“ fehlt. Die Konsequenz: Es wird weiterhin kostenintensive 24-Stunden-Überwachungen geben müssen. Oder es wird wie in Berlin im Fall Uwe K. erst ein weiteres Kind Opfer einer Straftat werden müssen, bevor der Täter dauerhaft in die Sicherungsverwahrung genommen werden kann.
„Das heutige Urteil setzt den fatalen Trend in der höchstrichterlichen Rechtsprechung fort, Strafrecht als reines Täterrecht zu verstehen. Die Interessen der Opfer und potentieller Opfer spielen eine immer geringere Rolle. Den Schwarzen Peter haben nun wieder die Polizeibehörden, die die Bevölkerung vor potentiellen Rückfalltätern schützen müssen. Angesichts der Einsparungen im Polizeibereich ist zu befürchten, dass zukünftig weiterhin Kinder von Wiederholungstätern missbraucht und getötet werden. Dies scheint der Preis zu sein, den das Bundesverfassungsgericht zur Wahrung der Täterrechte zu zahlen bereit ist. Für die Deutsche Kinderhilfe ist dies unerträglich und verdeutlicht, wie weit sich die Justiz von der Praxis und den Interessen der Opfer entfernt hat“, so Rechtsanwalt Georg Ehrmann in Berlin.
Die Deutsche Kinderhilfe fordert die Bundesjustizministerin auf, nun unverzüglich einen verfassungskonformen Gesetzentwurf zur Sicherungsverwahrung auf den Weg zu bringen und nicht bis 2013 zu warten. Insbesondere die Bundesländer sind in der Pflicht, verfassungskonforme Sicherungsverwahrungseinrichtungen in ausreichender Anzahl unverzüglich aufzubauen.
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