1. Klagt eine Arbeitnehmerin auf gleiches Entgelt für gleiche oder gleichwertige Arbeit, begründet der Umstand, dass ihr Entgelt geringer ist als das eines männlichen Kollegen, der die gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, regelmäßig gemäß § 22 AGG die Vermutung, dass diese Benachteiligung wegen des Geschlechts erfolgt ist.
2. Kann der Arbeitgeber die aus einem solchen Paarvergleich folgende Vermutung einer Benachteiligung wegen des Geschlechts nicht widerlegen, ist er zur Zahlung des Entgelts verpflichtet, das er dem zum Vergleich herangezogenen Kollegen gezahlt hat.
(BAG, Urteil vom 23. Oktober 2025 – 8 AZR 300/24; Leitsätze des Verfassers)
Die Arbeitnehmerin wurde bei ihrem Arbeitgeber auf der Abteilungsleitungsebene unterhalb des Vorstands beschäftigt. Sie forderte von ihrem Arbeitgeber rückwirkend für den Zeitraum von 2018 bis 2022 die finanzielle Gleichstellung mit bestimmten männlichen Vergleichspersonen durch entsprechende Zahlungen. Zur Begründung ihrer Ansprüche stützte sie sich u.a. auf Angaben des Arbeitgebers im sog. „Entgelttransparenz-Dashboard“, welches im Intranet der Erteilung von Auskünften im Sinne des Entgelttransparenzgesetzes (EntgTranspG) dient. Das Einkommen des von der Arbeitnehmerin, da ihr dessen individuelle Vergütung bekannt war, zum Vergleich herangezogenen Kollegen lag über dem Medianentgelt aller männlichen Arbeitnehmer in derselben Hierarchieebene. Gleichzeitig bewegte sich das Gehalt der Arbeitnehmerin im streitigen Zeitraum, in dem sie vorübergehend in Teilzeit beschäftigt war, jeweils unterhalb des Medians sowohl der männlichen als auch der weiblichen Vergleichsgruppe in derselben Hierarchieebene.
Die Arbeitgeberin verweigerte die Zahlung mit der Begründung, die Arbeitnehmerin würde weder gleiche oder gleichwertige Arbeit wie der konkret bezifferte zum Vergleich herangezogene Kollege noch wie die anderen Kollegen der Vergleichsgruppe verrichten.
Die Arbeitnehmerin hat erfolglos beim Arbeitsgericht den Ausgleich der Entgeltdifferenz zu der benannten Vergleichspersonen eingeklagt. Die Berufung hiergegen vor dem LAG Baden-Württemberg blieb erfolglos. Begründet hat das LAG dies damit, dass die Arbeitnehmerin sich für die Vermutung einer Entgeltbenachteiligung nicht auf eine einzige Vergleichsperson des anderen Geschlechts berufen könne. Angesichts der Größe der männlichen Vergleichsgruppe und der Medianentgelte beider vergleichbarer Geschlechtergruppen bestünde keine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung und damit kein Indiz i.S.v. § 22 AGG. Dass die Vergleichsperson gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten ausübte und damit die Vergleichsgruppe zutreffend gebildet wurde, sah das LAG hingegen als gegeben an.
Die Revision der Arbeitnehmerin vor dem BAG – zu dessen Entscheidung bisher nur die Pressemitteilung vorliegt – hatte teilweise Erfolg.
Nach ständiger Rechtsprechung haben Arbeitnehmer*innen einen direkten Anspruch auf gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit ohne Diskriminierung wegen des Geschlechts aus EU-Recht (Art. 157 AEUV) und nationalem Recht (§ 3 Abs. 1 und § 7 EntgTranspG). Auch im Streit um gleiches Entgelt für gleiche sowie gleichwertige Arbeit unabhängig vom Geschlecht findet die Beweiserleichterung des § 22 AGG Anwendung.
Das BAG hat in seiner Entscheidung klargestellt, dass es bei einer Entgeltgleichheitsklage keiner überwiegenden Wahrscheinlichkeit für eine geschlechtsbedingte Benachteiligung bedarf, um die Vermutungswirkung des § 22 AGG auszulösen. Ein solches Erfordernis wäre mit den Vorgaben des primären Unionsrechts unvereinbar. Für die – vom Arbeitgeber zu widerlegende – Vermutung einer Ent-geltbenachteiligung wegen des Geschlechts genügt es, wenn die klagende Arbeitnehmerin darlegt und im Bestreitensfall beweist, dass ihr Arbeitgeber einem anderen Kollegen, der gleiche oder gleichwertige Arbeit verrichtet, ein höheres Entgelt zahlt („Paarvergleich“). Die Größe der männlichen Vergleichsgruppe und die Höhe der Medianentgelte beider Geschlechtsgruppen ist für das Eingreifen der Vermutungswirkung ohne Bedeutung. Die Arbeitnehmerin hat – unter Verweis auf die Angaben im Dashboard – in Bezug auf eine konkrete Vergleichsperson hinreichende Tatsachen vorgetragen, die eine geschlechtsbedingte Entgeltbenachteiligung vermuten lassen.
Das BAG hat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das LAG zurückverwiesen, wo zu prüfen sein wird, ob die Arbeitgeberin die bestehende Vermutung einer geschlechtsbezogenen Benachteiligung widerlegen kann.
Fazit:
Das BAG setzt in der vorliegenden Entscheidung konsequent seine Rechtsprechung zum Equal Pay fort. Mit der vorliegenden Entscheidung stellt es erfreulich deutlich klar, dass auch ein Paarvergleich mit nur einer Vergleichsperson des anderen Geschlechts die Vermutungswirkung für eine geschlechtsbezogenen Benachteiligung i.S.v. § 22 AGG auslöst. Dies stärkt die Position (v.a. weiblicher) Arbeitnehmer*innen und erleichtert diesen, im Streitfall den erforderlichen Nachweis zu füh-ren. Die Arbeitgeberseite muss Tatsachen vortragen und beweisen, die belegen, dass es sich nicht um eine geschlechtsbezogene Diskriminierung handelt, sondern andere Gründe maßgeblich waren, um die Vermutung zu widerlegen.
Die vorliegende erfreuliche Entscheidung, flankiert durch die Auskunfts- und Informationsansprüche aus dem EntgTranspG (§§ 10 ff.) sowie die Beteiligungsrechte der Betriebs- und Personalräte im Bereich der Entgeltgestaltung sollten Interessenvertretungen auf jeden Fall geläufig sein. Die Gender Pay Gap besteht immer noch und, angesichts der nahenden Umsetzungsfrist der Entgelttransparenz-Richtlinie 2023/970/EU zum 07.06.2026, wird das Thema Equal Pay Arbeitnehmer*innen, Arbeitgeber*innen, Interessenvertretungen und Gerichte in naher Zukunft weiter beschäftigen.
Jan Potthoff, Rechtsanwalt
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