psycheplus Fachinformation
Von Microsoft-Gründer Bill Gates ist die Aussage überliefert, das Internet sei nur eine „Modeerscheinung“. Das war 1995, und inzwischen hat er öffentlich seinen Irrtum eingestanden. Tatsächlich ist ein Ende des angeblich kurzlebigen Hypes nicht in Sicht: Das weltweite Web ist zum festen Bestandteil unserer Arbeits-, Lebens- und Erlebniswelt geworden. Und noch immer bringt es täglich neue Mehrwertangebote für die Nutzer, neue Geschäftsmodelle und neue Anwendungsgebiete hervor. Doch auch wenn sich hinter den drei w“s ein gigantischer Kosmos von nahezu unbeschränkten Möglichkeiten aufzutun scheint, hat das Web doch seine Grenzen. Das betonen zumindest viele Fachleute beim Stichwort eMedizin und Online-Therapie. Ihr Tenor: Eine Sitzung auf der virtuellen Couch kann den persönlichen Kontakt zwischen Klient und Therapeut nicht ersetzen. Oder noch schlimmer: Sie gaukelt Hilfe vor, wo in Wahrheit keine geleistet werden kann. Ist das Internet damit wertlos oder gar gefährlich für Hilfesuchende, die abseits einer Großstadt mitunter monatelang auf einen Termin beim Therapeuten warten müssen? Benjamin Martens, Diplom-Psychologe und Betreiber der psychologischen Online-Plattform psycheplus, wagt den Versuch einer Einordnung.
Onlineangebote als Lösung für zu geringe Versorgungsdichte?
Die Lage ist ernst, das hat die Diskussion um das Versorgungsstrukturgesetz zuletzt erst wieder deutlich gemacht: Während die Fallzahlen bei psychischen Erkrankungen von Jahr zu Jahr zunehmen, hat sich die Zahl der Therapieangebote über Jahre hinweg kaum verändert: Derzeit rund fünf Millionen Therapiebedürftigen stehen höchstens 1,5 Millionen Plätze gegenüber. Durchschnittlich warten Betroffene drei Monate auf ein psychotherapeutisches Erstgespräch. Abseits der Großstädte sinkt die Versorgungsdichte zudem drastisch ab – und die Wartezeiten steigen entsprechend. Eine wirkungsvolle Online-Therapie scheint hier vielen eine ideale und vor allem schnelle Lösung zu sein.
Der Psychologe Benjamin Martens teilt diese Hoffnung nicht uneingeschränkt: „Seriöse Psychologen bezweifeln zu Recht, dass eine wirkungsvolle Therapie ohne persönlichen Kontakt, ohne die Berücksichtigung nonverbaler Signale und den Aufbau einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung möglich ist. Das ist eine Einschätzung, die wir uneingeschränkt unterstützen“, so Martens. Allerdings muss das in seinen Augen keineswegs eine rigorose Absage an das Medium Internet bedeuten. „Man kann seine Möglichkeiten durchaus sinnvoll und seriös einsetzen, um dem Klienten etwa die Wartezeit auf einen Therapieplatz zu verkürzen. Oder um ihm die zermürbende Suche nach einem wirklich passenden Therapeuten zu erleichtern“, so Martens. Er betreibt eine Internet-Plattform, die Menschen mit psychischen Problemen hochwertige Informationen und die Möglichkeit zum Austausch in einem von Psychologen betreuten Forum bietet. Außerdem können Betroffene bei psycheplus mit Hilfe eines extrem detaillierten, wissenschaftlichen Selbsttests eine unabhängige Einschätzung der eigenen psychischen Befindlichkeit erhalten. Wer dabei feststellt, dass ihm nur eine Therapie weiterhelfen kann, kann bei psycheplus zwar den richtigen Ansprechpartner finden, eine Online-Therapie bietet Martens allerdings aus gutem Grund nicht an.
Virtuelle Therapie in Schriftform
Anders dagegen in den Niederlanden: Dort gilt die an der Universität Amsterdam entwickelte „Interapy“ mittlerweile als Vorreiter der virtuellen Therapie – und findet bereits interessierte Nachahmer in weiteren Ländern. Besonders für Traumapatienten, die Opfer von Verbrechen oder Kriegshandlungen wurden, wird diese Therapie offenbar erfolgreich eingesetzt. Die Behandlung erfolgt streng nach dem evaluierten Manual für kognitive Verhaltenstherapie und folgt einer festen Struktur. Durch das schriftliche Festhalten des Traumas, der zerstörerischen Gedanken und schließlich des Loslassens, werden Patienten so zu ihrem eigenen Therapeuten. Sie erarbeiten ein persönliches Dokument, das sie für Krisenzeiten ausgedruckt bereithalten können. Die niederländischen Krankenkassen sind von dieser Methode so überzeugt, dass sie die Kosten dafür übernehmen. Diese fallen deutlich niedriger aus – nur rund ein Drittel der herkömmlichen Therapiekosten schlagen hierfür zu Buche – und verschiedene Wirksamkeitsstudien haben nachgewiesen, dass die Therapie bei den Betroffenen zu positiven Ergebnissen geführt hat. Benjamin Martens von psycheplus sieht diese Entwicklung dennoch mit gemischten Gefühlen: „Wenn ein Onlineangebot wie „Interapy“ Menschen mit bestimmten psychischen Krankheitsbildern wirksam helfen kann, ist das durchaus positiv zu sehen. Aber man muss dabei auch ganz klar seine Grenzen sehen: Die Wirksamkeit ist bisher nur bei dieser speziellen Art von Störungsbild belegt, also bei der Behandlung einer posttraumatischen Belastungsstörung. Klienten mit schweren Depressionen oder Suizidgedanken in dieser Form zu therapieren, hieße schlimmstenfalls, mit ihrem Leben zu spielen.“ Dies müsse auch den Kostenträgern, wie etwa den Krankenkassen, nachhaltig verdeutlich werden. Sonst, so fürchtet Martens, setze sich die Online-Therapie als „Allheilmittel“ am Ende schon wegen der möglichen Ersparnis durch.
Kein Medium für die Therapie – aber dennoch hilfreich
Martens plädiert dafür, webbasierte Ansätze nicht reflexartig abzulehnen, aber differenziert zu betrachten. Den Einsatz von E-Mails, Skype-Telefonaten oder Webcam-unterstützten Online-Chats zur Begleitung bestimmter Therapieformen hält er beispielsweise grundsätzlich für ausbaufähig: „Ich halte es durchaus für vorstellbar, dass therapeutische Maßnahmen mit weiterentwickelten technischen Möglichkeiten auch immer besser auf das Web übertragen werden könnten.“ Damit blickt er allerdings bereits über den aktuellen Stand in Deutschland hinaus. Hier werden die Möglichkeiten des Internets bisher hauptsächlich in der Online-Beratung eingesetzt (etwa beim Internetangebot der Telefonseelsorge). Dem Thema Online-Therapie begegnet die Fachwelt nach wie vor reserviert. In Deutschland werden entsprechende Ansätze bisher nur zu Forschungszwecken erprobt. Dagegen steht die statistische Erkenntnis, dass ein Viertel aller Deutschen im Bedarfsfall und sogar die Hälfte aller Internetnutzer bei psychischen Problemen das Internet als Anlaufstelle in Anspruch nehmen würden. Wie muss ein seriöses Angebot auf diese Nachfrage aussehen? Unter Fachleuten besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass das Internet als Informationsmedium für Betroffene sowie zur Kommunikation mit dem Therapeuten sinnvoll und gefahrlos genutzt werden kann. „Allerdings müssten die Nutzer für das klassische Online-Problem der mangelnden Qualitätssicherung sensibilisiert werden“, betont Benjamin Martens. „Vieles, was im Netz zu gängigen Fragen gefunden werden kann, ist zu oberflächlich, nur teilweise richtig oder sogar schlicht falsch. Ratsuchende und ihr Umfeld sollten daher in die Lage versetzt werden, seriöse, fachlich kompetente Quellen zu erkennen und von ,schlechten“ zu unterscheiden.“ Entsprechende Gütesiegel wie das BDP-Siegel des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen oder der HON-Code könnten den Nutzern dabei wertvolle Orientierung bieten.
Vision: Therapeut und Klient zusammen bringen
Weitere Potenziale des Internets liegen darüber hinaus im Bereich der Selbsthilfe. „Das Web bietet hier einen Vorteil, den ,echte“ Selbsthilfegruppen niemals bieten können: Anonymität und damit die Freiheit, die Dinge ganz offen und jederzeit beim Namen nennen zu können“, weiß Martens. Deshalb betreibt er mit psycheplus unter anderem ein von Psychologen überwachtes Forum, in dem sich Ratsuchende mit Gleichgesinnten, aber auch direkt mit dem Psychologenteam austauschen können. „Wer vermutet, ein solches „niedrigschwelliges Angebot“ provoziere Missbrauch, der irrt. Die Nutzer gehen nach unserer Erfahrung sehr verantwortungsvoll damit um. Sie schätzen die Möglichkeit, bei jedem Anliegen ihre Privatsphäre wahren zu können, und sie begrüßen die unkomplizierte Verfügbarkeit des psychologischen Expertenteams im Forum.“ Den größten Nutzen für Klienten, die rasch in Therapie kommen wollen, verspricht in Martens“ Augen allerdings eine möglichst passgenaue Therapeutensuche. Seine Vision baut dabei auch auf die Vorteile des Internets: Voraussetzung wäre lediglich, dass Therapeuten und Ratsuchende jeweils ein detailliertes Profil anlegten, das die Suche nach gegenseitiger Passfähigkeit unterstützt, ähnlich dem Vorgehen bei einer Partnervermittlung. Dieselbe Methode, die auch aus Tausenden von Singles das am besten zueinander passende Paar herausfiltert, könnte so helfen, die Zahl teurer Therapieabbrüche und umsonst verstrichener Wartezeiten drastisch zu reduzieren. Martens: „Schließlich funktioniert auch eine therapeutische Beziehung nur dann gut, wenn die Chemie zwischen beiden Personen stimmt. Diesen wichtigen Faktor mussten die Klienten bisher dem Zufall überlassen – und brauchten deshalb oft mehrere Anläufe, bis der richtige Therapeut für sie gefunden war. Eine Matching-Funktion bei der Therapeutensuche würde die Möglichkeit eröffnen, die Findung per Versuch und Irrtum erheblich abzukürzen – ein Angebot, von dem nicht nur Klient und Therapeuten profitieren könnten, sondern am Ende auch die Kostenträger.“ Für letztere läge darin möglicherweise sogar der bessere Weg, das Internet zur Kostenreduktion im Therapiebereich zu nutzen – ohne dafür die Risiken der Online-Therapie in Kauf nehmen zu müssen.
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